Gastblog von Suzanne Thissen (die den Lernkurs in der Kunst des Zusammenlebens absolviert)
Freiheit, Gleichstellung und Burschenschaft war das Motto der Französischen Revolution.
Während dieser Revolution hatten die Revolutionäre diese drei Werte. Sie kämpften für die Freiheit des Volkes, die Gleichheit aller Menschen und die Brüderlichkeit unter den Menschen.
Diese Ideale standen in krassem Gegensatz zur bestehenden Klassengesellschaft.
In den Niederlanden wurde Ende des 18.e Jahrhundert spürbar. Zwar gab es eine Verfassung, die diese Werte garantierte, aber die Praxis sah anders aus als die Idee. Dennoch: ein Samen war gepflanzt worden.
Der ehemalige belgische Premierminister Mark Eyskens schrieb einmal, dass die drei Werte der französischen Revolution schrittweise eingeführt werden: ‘Wenn das neunzehnte Jahrhundert das Jahrhundert der Gleichheit und das zwanzigste das der Freiheit war, dann wird das einundzwanzigste Jahrhundert von der Brüderlichkeit beherrscht sein’.
Wenn ich zurückblicke, kann ich das im Großen und Ganzen einordnen. Die Umwandlung einer Klassengesellschaft, zum Beispiel auf der Grundlage der Vererbung, sollte mehr Gleichheit zwischen den Menschen schaffen. An ihre Stelle ist jedoch eine Klassengesellschaft getreten, die auf wirtschaftlichen Faktoren wie Einkommen und Vermögen basiert. Ob das ‘Gleichheit’ bedeutet, fragen sich heute immer mehr Menschen.
Obwohl der Wert ‘Freiheit’ bereits im 19.e Jahrhundert; die Keimung und das Wachstum finden immer noch statt.
In den 20e Jahrhundert keimte die Saat der Freiheit. Die Abschaffung der Sklaverei, die Entkolonialisierung. Das ist klar zu erkennen. Und ich sehe darin wiederum den Beginn eines Bewusstseinsprozesses. Die Freiheit ist ein Keimling, den es auch heute noch zu schützen gilt. Wie frei sind wir wirklich in einer Gesellschaft, die immer noch überwiegend hierarchisch organisiert ist, Kinder in einer Prüfungskultur gefangen sind und viele Menschen ‘Sklaven’ ihrer Arbeit sind, um finanziell über die Runden zu kommen?
Und dann dieses Jahrhundert. Das 21.e Jahrhundert, das Jahrhundert der Brüderlichkeit?
Auf den ersten Blick sieht es nicht so aus. Es gibt Kriege. Eine Menge sozialer Unruhen. Jeder für sich, wir gegen sie, Polarisierung. Antisoziales Verhalten auf den Straßen. Man braucht nur die Nachrichten zu verfolgen, und dieses Bild wird ständig bestätigt. In der öffentlichen Debatte scheint es vor allem darum zu gehen, Punkte zu machen, und kaum darum, zu einem Ergebnis zu kommen. Zustimmung aus der Erkenntnis heraus, dass wir die Gemeinschaft immer noch gemeinsam sehen müssen.
Und doch... sehe ich ein Samenkorn, das keimt.
Viele Menschen haben den Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit und bringen ihn auch zum Ausdruck.
In der Gesellschaft entstehen Initiativen von innen heraus. Wohn-/Lebensgemeinschaften, selbstverwaltete Teams, Brotfonds, eine Gemeinschaft um einen Lebensmittelwald oder einen Biobauernhof, Schulinitiativen, eine Kapitalgesellschaft. https://economytransformers.nl/eigentijdseigendom/
Überall sehe ich kleine Setzlinge, aber óh...wie zerbrechlich sie manchmal noch sind.
Es gibt SO viel zu lernen. Wie man es macht, zusammen? Viele Initiativen bleiben gerade in der Zusammenarbeit stecken.
Bei meiner Arbeit als CONSENT-Ausbilderin und bei der Leitung von Mediationskreisen stoße ich immer wieder auf Hindernisse. Oft sind in einer Organisation, in der Menschen zusammenarbeiten, die gemeinsamen Ausgangspunkte, die Organisation der Entscheidungsfindung und der Umgang mit Konflikten noch nicht harmonisiert. Genug Nährboden für Unruhe und Irritationen. Persönliche Auslöser kommen an die Oberfläche, alter Schmerz, die Kommunikation verschlechtert sich, wir fangen an, auf den anderen zu zeigen, wir fallen in das Drama-Dreieck, ohne es zu merken. https://nl.wikipedia.org/wiki/Dramadriehoek
Es gibt also viel zu tun. Es gibt viel zu lernen. Und ich glaube, das Wichtigste dabei ist, dass wir dabei behutsam vorgehen, mit uns selbst und mit anderen. Wir lernen, wie wir ‘gemeinsam’ gestalten können. Das kann mit Versuch und Irrtum verbunden sein. Wir versuchen es immer wieder, immer bewusster. Es braucht Geduld, Zeit und viel Liebe, um mit altem Schmerz umzugehen und persönliche Auslöser in bewusstes Verhalten umzuwandeln. Die Kommunikation zu verbessern und sich zu trauen, verletzlich zu sein.
Wir sind Setzlinge auf dem Weg zu mehr Brüderlichkeit, zu mehr ‘Miteinander’.
Ich hoffe, dass wir uns nicht entmutigen lassen, wenn die Dinge schwierig sind, dass wir uns nicht in unser Schneckenhaus verkriechen, Mauern errichten und dann wieder allein gehen. Ich hoffe, wir stehen jedes Mal wieder auf und versuchen es erneut. Denn ich glaube, in jedem Menschen steckt der tiefe Wunsch, es gemeinsam zu tun.
Ich hoffe, dass wir heranwachsen und uns zu kräftigen Pflanzen entwickeln, mit starken Wurzeln in der fruchtbaren Erde und kräftigen Zweigen mit Blättern, die im Licht erblühen. Dass wir uns in unserem Bewusstsein weiterentwickeln und uns gegenseitig erlauben, dadurch zu wachsen und zu gedeihen.

Suzanne Thissen